Was treibt einen Menschen, der sich ein Leben lang nichts hat zuschulden kommen lassen, zu einem Mord? Vierunddreißig Jahre hat Collini als unbescholtener. Ein großartiger Erzähler!« Der Spiegel Was treibt einen Menschen, der sich ein Leben lang nichts hat. Mit unglaublicher Wucht hatten die Erzählbände „Verbrechen“ und 2009 und 2010 die Leser getroffen. Ferdinand von Schirachs lakonische, distanzierte Erzählweise und die häufig grausigen Fälle, die der Strafverteidiger beschrieb, vermischten sich zu einer unwiderstehlichen Kombination: Die Neugierde wurde stets befriedigt, aber der Voyeurismus nie. Deshalb stellte sich selbst nach zehn mit großen Augen verschlungenen Geschichten kein Ekelgefühl ein, das einen vom Kauf des nächsten Buches abgehalten hätte. In seinem ersten Roman „Der Fall Collini“ kann Schirach nicht auf den Kitzel des Entsetzens hoffen, um den Leser bei der Stange zu halten. Denn der Mord ist bereits geschehen und war zwar recht brutal. Aber wer den Großindustriellen Hans Meyer erschossen und danach voll Hass sein Gesicht zertreten hat, ist sofort klar: Der Wergzeugmacher Fabrizio Collini saß blutverschmiert und wartend in der Hotellobby und wartete auf seine Festnahme. Gewissenskonflikt und Motivsuche Der Mord geschieht also auf den ersten drei Seiten. Danach beschäftigt sich der Roman nur noch mit der Suche nach Collinis rätselhaftem Motiv. Denn der junge Strafverteidiger Caspar Leinen will sich nicht mit Schadensbegrenzung in der Verteidigung abgeben, sondern herausfinden, warum ein unbescholtener Mann einen Mord begeht. Zusätzlich angefacht wird die Situation durch einen Gewissenskonflikt des Anwalts: Leinen kannte das Opfer und dessen Familie von früher. Dieses Dilemma und die Motivsuche beschäftigen Leinen und den Leser lange. Etwas zu lange, wenn man die Schlagzahl von Schirachs Kurzgeschichten gewohnt ist. Von Schirach bleibt sich literarisch treu: Er ergreift niemandes Partei und macht es damit auch dem Leser schwer, trennscharf Gut und Böse zu identifizieren. Selbst als das wohl jedem Menschen verständliche Motiv zutage tritt, drehen sich die Verhältnisse nicht um – denn Collini stand schon vorher nicht als der Buhmann da. Diese Differenziertheit in Verbindung mit der klaren Sprache des Autors ist die größte Stärke des Romans. Und es ist außerordentlich begrüßenswert, dass von Schirach mit einem solchen Anspruch an sich selbst und den Leser Erfolge feiern kann. Aber trotz dieser Vorzüge ist „Der Fall Collini“ nicht so gelungen wie die Kurzgeschichten. Zum einen fehlen die gewohnten kleinen Schocks, die den Leser alle 15 Seiten schüttelten und ohne die die distanzierte Erzählweise ein wenig antiseptisch wirkt. Und zum anderen trägt diese eine Geschichte, bei der man mit ein bisschen Kombinationsgabe das Motiv in groben Zügen erahnen kann, den Romanumfang nicht. Immerhin hat von Schirach am Schluss noch einige überraschende Wendungen eingebaut, die mit den Längen im Mittelteil versöhnen – und die Leser doch wieder dazu bringen werden, auch das folgende Buch zu kaufen. Paulus Ponizak, zalando, dpa/S. • Seite 1 — Das Dreher-Gesetz • • • Collini legte die Pistole auf den Tisch. Er stellte sich neben den Mann am Boden, starrte auf die Altersflecken auf dessen Handrücken. Mit dem Schuh drehte er den Toten um. Plötzlich trat er mit dem Absatz in das Gesicht des Toten, er sah ihn an, dann trat er wieder zu. Er konnte nicht aufhören, wieder und wieder trat er zu, Blut und Gehirnmasse spritzten auf seine Hosenbeine, auf den Teppich, gegen das Bettgestell. Der Gerichtsmediziner konnte später die Anzahl der Tritte nicht rekonstruieren, Wangen-, Kiefer-, Nasen- und Schädelknochen brachen unter der Wucht. Collini hörte erst auf, als der Absatz seines Schuhs abriss. Der Fall Collini Hörbuch DownloadEr setzte sich auf das Bett, Schweiß lief ihm über das Gesicht. Sein Puls beruhigte sich nur langsam. Er wartete, bis er wieder gleichmäßig atmete. Er stand auf, bekreuzigte sich, verließ das Zimmer und fuhr mit dem Lift ins Erdgeschoss.
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March 2019
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